Stellungnahme des Vereins Alte Eiche und drei Leserbriefe zur neuen Planung (bitte die einzelnen Dokumente anklicken)
Eine ganz große Koalition aus SPD, CDU, Bündnis 90/Grüne und FWI haben Eckpunkte für ein neues Wohngebiet rund um die Alte Eiche und die Zerstörung des umgebenden Biotops beschlossen. (Bitte die einzelnen Dokumente anklicken)
Die neue Planung lässt zwar die alte Eiche stehen, führt aber alle anderen Planungsfehler fort. (Bitte die einzelnen Bildseiten anklicken.)
Meldung
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat am 21.2.2020 den Antrag der Firma dreigrund auf sofortige Vollziehbarkeit der städtischen Fällgenehmigung für die Alte Eiche an der Heerstraße in Castrop-Rauxel abgelehnt!
Johannes besetzt die Eiche
Am Abend des 30. September 2019 hatte Johannes seine Hängematte in der 250 Jahre alten Eiche aufgespannt und die Eiche besetzt. Ein Ratsherr hatte die Polizei alarmiert, die zusammen mit der Feuerwehr um Mitternacht Johannes herunterholen wollte. Zugleich trafen Nachbar*innen und andere Eichenfreund*innen zu einer spontanen Versammlung ein. Gemäß Artikel 8 Grundgesetz hat die Polizei die Versammlung, zu der auch Johannes gehörte, genehmigt und geschützt. Der Fälltrupp musste unverrichteter Dinge abziehen. Ein bewohnter Baum darf nicht gefällt werden. Seitdem wird die alte Eiche von Johannes, auch HambiPotter genannt, bewohnt und von Mitgliedern des Aktionskreises rund um die Uhr bewacht.
Doch warum soll dieser wunderschöne alte Baum überhaupt gefällt werden?
Wohnen an der Emscher ...
... oder auf einer Altlast ?
Die Vorgeschichte reicht bis in die 1990er Jahre zurück, als die „Internationale Bauausstellung Emscher Park“ entlang der Emscher einen neuen Ost-West-Grünzug anlegen wollte, der die bestehenden Nord-Süd-Grünzüge zwischen den Großstädten des Ruhrgebietes miteinander verbinden sollte. Nur Castrop-Rauxel, die längst ergraute „Europastadt im Grünen“ will den neuen Grünzug durch ein Wohngebiet unterbrechen: „Wohnen an der Emscher“.
Seit 2001 gelingt es der Stadt nicht, für die brachgefallene Weide zwischen Emscher und Heerstraße einen Bebauungsplan aufzustellen. Das Baugrundgutachten urteilt: völlig „ungeeignet“. Früher war das Gelände häufig überschwemmt. Organische Ablagerungen und Torflinsen haben sich gebildet, die „sehr nachgiebig“ und „nicht tragfähig“ sind. Neue Häuser müssen mit Setzungen rechnen. Außerdem wurden 7 Schwermetalle – Arsen, Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Nickel und Zink – auf dem Gelände gefunden. Die Belastung mit Arsen übertrifft an zwei Stellen sogar den Grenzwert: Wohnen ist hier unzulässig. Hinzu kommen 15 verschiedene polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe wie das krebserzeugende und erbgutverändernde Benzo(a)pyren.
Wegen der ungünstigen Geländeneigung kann das Baugebiet derzeit nicht entwässert werden, erklärt das „Baugrundgutachten“ des Sachverständigen Dr.-Ing. Gerhard Thiel. Es muss durch Aufschüttungen etwa einen Meter angehoben werden. Wieviele Bodenmassen und LKW-Ladungen dafür nötig sind, wird nirgendwo gesagt. Es läst sich aber überschlagen, dass für die Fläche von 4,3 Hektar bis zu 43.000 cbm Material benötigt werden. Dieses Material darf bestimmte „Fremdbeimengungen“ enthalten, erklärt ergänzend das Bodengutachten der Firma Dr. Heckemanns & Partner, und zwar: „Bauschutt“ und „industrielle Nebenprodukte“ im Umfang von „10 Volumen %“. Unter der Hand wird das geplante Wohngebiet – eine Deponie für Bauschutt und industrielle Nebenprodukte?!
(Die zitierten Gutachten sind im Ratsinformationssystem der Stadt Castrop-Rauxel veröffentlicht: Ratssitzung am 4.4.2019, TOP Bebauungsplan Nr. 245, Anlagen 10 und 12)
Hinzu kommt der Lärm der Autobahn A 2 und der Wartburgstraße, der den Grenzwert für Wohnen tags und nachts deutlich übertrifft. Nicht zu vergessen die magnetischen Wechselfelder der 220 kV-Höchstspannungsleitung, die das Gelände überquert: in 20 Metern Abstand wurde eine Feldstärke von 2430 nanoTesla (nT) (bei einer 48%igen Auslastung) gemessen. Sie liegt zwar unter den Grenzwerten der bundesdeutschen „Verordnung über elektromagnetische Felder – 26. BImSchV“ (100.000 nT) und des „Abstandserlasses“ des NRW-Umweltministeriums (10.000 nT), doch über den strengeren Werten in anderen Ländern (z.B. 1000 nT in Liechtenstein). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Wechselfelder sogar als "möglicherweise kanzerogen" eingestuft (www.bfs.de), weil bereits ab 300 nT das Leukämierisiko für Kinder zunimmt. Daher fordert der Landesentwicklungsplan NRW einen Abstand von 400 m zwischen Höchstspannungsfreileitungen und neuen Baugebieten. Das aber interessiert die Stadt Castrop-Rauxel überhaupt nicht.
(Ratsinformationssystem, Ratssitzung am 4.4.2019, TOP Bebauungsplan Nr. 245, Anlage 06 – Begründung zum BPlan 245, S. I-42; Anlage 09 – Gutachten des Baubiologen Ohlenforst)
Eingriffe in Natur und Landschaft
Schützenswerter Boden wird zerstört
Die 250 Jahre alte Eiche zeigt, dass das Gelände an der Emscher in der Vergangenheit nur mäßig genutzt worden ist und eher ruhig war. Wie im Landschaftspflegerischen Fachbeitrag (S.9-14) erläutert wird, liegt das Gebiet im Emschertal, einem in der Eiszeit entstandenen Urstromtal, und wurde immer wieder von der Emscher überschwemmt. Daher konnte es auch nur als Viehweide genutzt werden. Seit mehreren Jahren ist es eine unversiegelte Grünlandbrache mit Gehölzbestand. Infolgedessen kommt hier der unmittelbar gewachsene Boden (Gley mit vereinzelt Auengley) vor, der sich durch eine große „Naturnähe“ auszeichnet. Durch sein hohes Wasserrückhaltevermögen hat er als Wasserspeicher eine große Bedeutung für den regionalen Wasserhaushalt und gilt daher als „Ausgleichskörper im Wasserkreislauf“. In der „Bodenkarte" des Geologischen Dienstes NRW und in der „Bodenfunktionskarte" des Kreises Recklinghausen ist er als „schutzwürdiger“ bzw. „schützenswerter“ Boden ausgezeichnet. Zudem ist dieser Boden ein wichtiger Kohlenstoffspeicher. Dieser schützenswerte Boden würde bei einer Bebauung unwiederbringlich zerstört und große Mengen CO2 freisetzen.
Durch die geringe Versiegelung, die freien Flächen und die vorhandenen Gehölze ist das Gebiet ein (bio-)klimatischer Gunstraum, der Frisch- und Kaltluft erzeugt, Schatten spendet, Luftschadstoffe bindet und so positive lokalklimatische Effekte auf den umliegenden Siedlungsraum ausübt.
Fledermäuse, Brutvögel, Nahrungsgäste und eine Erdkröte
Die vielen kleinräumigen Landschaftsstrukturen, wie z.B. insektenreiche Wiesen und Säume, Stäucher und Bäume mit vielen potenziellen Bruthöhlen, locken entsprechend viele vor allem Vögel und Fledermäuse an. (LPF: 18) Mit Hilfe von Fledermausdetektoren konnten fünf Fledermausarten nachgewiesen werden:
- Zwergfledermaus - Pipistrellus pipistrellus
- Kleiner Abendsegler - Nyctalus leisleri
- Großer Abendsegler - Nyctalus noctula
- Breitflügelfledermaus - Eptesicus serotinus und
- eine Myotis Art, evtl. Kleine Bartfledermaus,
die auf dem Gelände jagen und balzen. Hinzu kommen 14 Brutvogelarten:
- Amsel - Turdus merula
- Blaumeise - Cyanistes caeruleus
- Buchfink - Fringilla coelebs
- Haussperling - Passer domesticus
- Heckenbraunelle - Prunella modularis
- Jagdfasan - Phasanius colchicus
- Klappergrasmücke - Sylvia curruca
- Kohlmeise - Parus major
- Mönchsgrasmücke - Sylvia atricapilla
- Ringeltaube - Columba palumbus
- Rotkehlchen - Erithacus rubecula
- Singdrossel - Turdus philomelos
- Zaunkönig - Troglodytes troglodytes
- Zilpzalp - Phylloscopus collybita
und 21 Nahrungsgäste:
- Bluthänfling - Carduelis cannabina
- Buntspecht - Dendrocopos major
- Dohle - Corvus monedula
- Eichelhäher - Garrulus glandarius
- Elster - Pica pica
- Erlenzeisig - Carduelis spinus
- Gimpel - Pyrrhula pyrrhula
- Grünfink - Carduelis chloris
- Grünspecht - Picus viridis
- Habicht - Accipiter gentilis
- Kleiber - Sitta europaea
- Mäusebussard - Buteo buteo
- Mauersegler - Apus apus
- Mehlschwalbe - Delichon urbicum
- Rabenkrähe - Corvus corone
- Schwanzmeise - Aegithalos caudatus
- Türkentaube - Streptopelis decaocto.
Außerdem ist den Gutachter*innen eine Erdkröte als Vertreterin der Amphibien über den Weg gelaufen. (LPF: S.17-19)
(Der Landschaftspflegerische Fachbeitrag (LPF) und der Artenschutzbeitrag sind veröffentlicht im Ratsinformationssystem der Stadt Castrop-Rauxel: Ratssitzung am 4.4.2019, TOP Bebauungsplan Nr.245, Anlagen 14 und 13)
Worum geht es ...
... um Arten oder Lebewesen?
Genau genommen haben die Gutachter allerdings gar keine Arten festgestellt. Sie haben konkrete, einzelne Vögel und einzelne Fledermäuse gesehen oder gehört, die der einen oder anderen Art angehören. Die Lebensräume der Arten können durch das drohende Bauvorhaben gar nicht zerstört werden. Was zerstört wird, sind die Lebensräume, Jagd- und Balzreviere der konkreten einzelnen Vögel oder Fledermäuse, die derzeit im Plangebiet leben. Auch wenn in der Umgebung weitere artspezifische Lebensräume vorhanden sind, wissen wir gar nicht, ob sie groß genug sind, um die aus dem Baugebiet vertriebenen Vögel und Fledermäuse aufzunehmen und zu ernähren. Diese Frage können die Gutachter nicht beantworten, schlimmer: sie haben diese Frage gar nicht gestellt.
Unbestreitbar ist: großflächige Beseitigung von insgesamt 300 Bäumen und Sträuchern sowie die umfangreiche Bodenversiegelung wird zunächst die Nahrungspflanzen für Insekten verringern. Damit geht auch das Futterangebot für Vögel und Fledermäuse zurück, so dass entsprechend weniger Tiere im Plangebiet leben können. Wieviele Tiere auf diese Weise dem Bauvorhaben zum Opfer fallen, hat keinen Gutachter interessiert. Der fachliche Blick auf die Vogel- und Fledermausarten versperrt den Blick auf die einzelnen Lebewesen.
Der Protest Castrop-Rauxeler Bürgerinnen und Bürger
Im September 2018 präsentierte die Stadt Castrop-Rauxel die Firma „dreigrund“ als neuen Investor - eine GmbH & Co KG. Haftbar ist nur die "dreigrund development Wohnen an der Emscher Verwaltungs-GmbH" mit 25.000 €. Dahinter stehen unter anderem die Heitkamp Unternehmensgruppe in Herne und die Stricker-Gruppe in Dortmund, die lukrative Bauaufträge erwarten. Zugleich wurde ein neuer Bebauungsplan vorgelegt, in dem zum erstenmal die alte Eiche überplant war.
Schon zuvor, Ende 2017, wurden die im heutigen Plangebiet gepachteten Gärten gekündigt. Damit begann der Protest. In Rats- und Ausschusssitzungen zeigten die Anwohner*innen die Defizite der Planung auf. Als in der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass eine 250 Jahre alte Eiche abgeholzt werden soll, ging eine Welle der Empörung durch Castrop-Rauxel: in den Zeitungen erschienen Artikel und Leserbriefe, am Fuß der Eiche fanden Picknicks statt, binnen weniger Wochen wurden 5.000 Unterschriften gesammelt.
Bürgermeister Kravanja wollte selbst ein Haus an der Emscher bauen, zog aber seine Bauabsichten auf der Ratssitzung am 4.4.2019 zurück, auf der SPD, CDU und FDP den Bebauungsplan Nr. 245 durchsetzten. Erst drei Monate später wurde der Beschluss im Amtsblatt veröffentlicht und rechtskräftig. Unterdessen ging der Protest weiter. Angeführt vom Trommlerkorps „Gut Klang“ aus Dortmund-Kirchlinde zog eine Demonstration durch Henrichenburg. Eichenfreund*innen gründeten den Verein „Rettet die alte Eiche“ mit dem Ziel, die Fläche unter der Eiche zu kaufen und eine private Einigung mit dem Investor zu erreichen (www.rettetdiealteeiche.de/).
Zugleich startete ein Bürgerbegehren, nicht gegen den Bebauungsplan (das ist nach der Gemeindeordnung nicht zulässig), sondern damit die Stadt bei der Unteren Naturschutzbehörde beantragt, die Alte Eiche als Naturdenkmal zu schützen. Obwohl nur 3702 Unterstützer*innen erforderlich waren, wurden in den Sommerferien über 6000 Unterschriften gesammelt. Sogar der frühere Bürgermeister Johannes Beisenherz und Sabine Seibel, DGB-Vorsitzende vor Ort, beteiligten sich, während andere SPD-Mitglieder nur inoffiziell ihre Sympathie erklärten. Doch am 26. September erklärte der Stadtrat das Bürgerbegehren für unzulässig, unter anderem weil die Untere Naturschutzbehörde im Kreis Recklinghausen die alte Eiche nicht als Naturdenkmal-würdig bewertet hatte.
Der Verein möchte das Eichengrundstück kaufen
Im Oktober 2019 hat der Investor neue Zaunelemente mit Sicherheitsverschraubung aufstellen und Drohbriefe verschicken lassen: Seine Anwältin sprach ein Hausverbot aus und drohte mit einer Klage wegen Hausfriedensbruch. Das Betretungsverbot traf auch das Künstlerpaar Helge und Saxana Hommes, die – wie zuvor im Hambacher Wald – die Alte Eiche für eine Baumbilder-Ausstellung porträtieren wollten und auf ein Nachbargrundstück ausweichen mussten. Auch der Aktionskreis wacht nun in einem der benachbarten Gärten.
Inzwischen versucht die SPD einzulenken: der Bürgermeister will zwischen dem Investor und dem Verein, der die Eiche kaufen will, vermitteln. Unterstützend erklärt die Landtagsabgeordnete und lokale SPD-Vorsitzende Lisa Kapteinat: „Wir […] hatten nie das Ziel, diese [Eiche] zu fällen“ (Stadtanzeiger 23.10.19). Die Erinnerung an den Satz des früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht drängt sich auf: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ – zwei Monate später wurde sie gebaut. Der Vermittlungsversuch der SPD wird vom Investor, der bisher jede Anfrage ignoriert hatte, vom Tisch gefegt: der Bebauungsplan sei beschlossen, die Eiche müsse gefällt werden – daher sei die Initiative des Bürgermeisters „mehr Kommunalwahlkampf“. (RuhrNachrichten 7.11.19) Auf dem Stadtparteitag der SPD am 23.11.2019 erklärte Bürgermeister Kravanja zur Alten Eiche, es gebe "von der Kategorie 60 in der Stadt“ (RN 25.11.2019). Die BUND-OG hat den Bürgermeister um eine Liste dieser Bäume gebeten, aber keine Antwort bekommen. Offensichtlich gibt es diese 60 Bäume gar nicht.
Der BUND hat derweil eine Klage gegen die Fällgenehmigung eingereicht und ein Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 245 beantragt, während der Verein „Rettet die alte Eiche“ um Unterstützung bittet, um den Kauf des Eichengrundstücks zu finanzieren.
Auf der Internetseite des Vereins (www.rettetdiealteeiche.de) steht eine „Verpflichtungserklärung“ zum Download bereit. Wer den Kauf des Eichengrundstücks finanziell unterstützen will, kann in die Verpflichtungserklärung eintragen, in welcher Höhe er oder sie sich am Grundstückskauf beteiligen möchte. Wenn es nicht zum Kauf kommt, erlischt die Verpflichtungserklärung. Alle Beträge, auch kleinere, sind willkommen.